Mittwoch, 26. September 2007

Expertologie

Gestern durfte ich zum Glück endlich die Heizung anschalten, denn es war nun kalt genug dazu. Die vergangenen warmen Tage, die ich noch lesend im Park genoß, lösten nämlich in der ein oder anderen Sekunde ein durch Gedanken an den Klimawandel verursachtes Frösteln aus. In einer Glosse im CEE IEH # 141 habe ich mit einer Freundin unsere Meinung dazu kundgetan. Diese, obschon doch nur eine harmlose Meinung, wurde uns im nächsten Heft von einem Klima-Knowledge-Virtuosen in einem Antwort-Artikel um die Ohren gehauen.

Der Autor klagt darin an, daß wir uns gefälligst der Datenallmacht zu fügen hätten und auch mal dort unseren Eltern (resp. dem Mainstream) recht geben sollten, wo sie recht haben - auch wenn es deutsche Eltern sein mögen, was uns als 'Antideutschen' ja per se nicht behage. Eigentlich hätte die Anmerkung genügt, daß wir uns gar nicht in Gegenidentifikation üben, sondern nur das herzustellen suchen, was wir bei anderen Themen (und aus erkenntnistheoretischer Sicht) vehement ablehnen: Äquidistanz. Gepaart mit ein paar Zitaten aus unserem Artikel, die dies belegen, hätte das wohl genügt. z.B.:
"Es existieren recht plausible Theorien, die den Menschen als hauptursächlichen Motor für die Erderwärmung bezeichnen (CO2-Emissionen) und ebenso plausible, welche die Ursache eher weit außerhalb seines Wirkungsfeldes verorten (kosmische Strahlung). Gegen letztere ist man relativ ohnmächtig, erstere hingegen bieten einen Rahmen und ein Inventar an Aktionismus, der prinzipiell begrüßenswert, wenn er nicht so ideologisch gefüttert wäre und diabolische Feindbilder heraufbeschwören würde."
Da wir aber dem Leser zutrauten, dies auch selbst herauszulesen, erübrigte sich eine Replik. Lange Einleitung, kurze Pointe: Eigentlich wollte ich mich gar nicht in die Niederungen naiv-empirischer Meinungsumfragen hinablassen, aber die Äquidistanz, die der CEE-IEH-Experte nicht gelten lassen wollte, weil die wissenschaftliche Evidenz zu eindeutig sei, um sich hinter Neutralität verschanzen zu können, war wohl doch ein kluger Schachzug. In einem Artikel in der WELT durfte ich nun von einer Umfrage unter 'Klimaexperten' lesen, die alles andere als Konses hervorbrachte:
"Daran, dass es wärmer wurde, gibt es keine nennenswerten Zweifel. Über die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung gehen die Ansichten der Klimaforscher jedoch ebenso auseinander wie über die Grundlagen des Forschungsstandes. Die Mehrheit der Klimaforscher (57 Prozent) ist der Ansicht, dass die "Folgen des Klimawandels für die Menschen im 21. Jahrhundert gefährlich" sind. Eine bedeutende Minderheit stimmt dieser These dagegen nicht zu, weil sie negative und positive Folgen sieht, weil sie die Gefahr generell bestreitet oder weil sie der Meinung ist, dass man darüber keine konkreten Aussagen machen kann. Eine Ursache dieses bemerkenswerten Befundes liegt in den Urteilen der Klimaforscher über die theoretischen und methodischen Grundlagen von Klimaprognosen. Die Ansichten der Klimaforscher hierzu sind ernüchternd. Die Mehrheit der Wissenschaftler ist der Ansicht, die Voraussetzungen für die Berechenbarkeit des Klimas seien gegenwärtig noch nicht gegeben. Dies betrifft die Menge und Qualität der empirischen Daten, die Qualität der Modelle und Theorien sowie die Kapazität der verfügbaren Analysetechniken.
Nur eine Minderheit von zehn bis 20 Prozent der Klimaforscher ist der Meinung, die empirischen und theoretischen Voraussetzungen für die Berechnung des Klimas seien heute schon gegeben. Dies dürfte sich auch in den vergangenen Monaten nicht wesentlich geändert haben."

Zugegeben werden muß allerdings, daß fast drei Viertel...
"...der Klimaforscher (73 Prozent) [...] den Menschen als eine mehr oder weniger bedeutende Ursache des Klimawandels [betrachten]."

Diese drei Viertel atomisieren sich aber nochmals in unterschiedliche gewichtete Antwortmöglichkeiten. So zählt auch die Antwort "Der Mensch und die Natur seien in gleichen Teilen dafür verantwortlich" dazu, die immerhin noch über ein Viertel der Wissenschaftler (27%) für richtig hält.

Und dann schreibt die bürgerliche Presse sogar noch bei uns ab. Denn dieses:
"Die Urteile der Klimaforscher über die Berechenbarkeit des Klimas verweisen auf die generelle Problematik einer wissenschaftlichen Diskussion, die die Grenzen der Fachöffentlichkeit überschreitet und zur Grundlage der öffentlichen Meinung und der politischen Willensbildung wird."
... ist wohl eindeutig hier abgekupfert:
"Der Klimadiskurs ist ein politischer und kein wissenschaftlicher. Die politische Dimension ist dabei an vielen Punkten kritikwürdig, überzogen, nervig. Aber der Kern des Problems – der Klimawandel – lässt sich nicht über einen gesellschaftlichen Diskurs und bestimmte Haltungen zu diesem lösen, sondern nur durch Expertise, die weder Feuilleton noch intelligente GesellschaftskritikerInnen vorweisen können."

Frechheit!

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